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aus: ÖAZ Aktuell, Ausgabe 2/2002

Keine Kassenfreiheit mehr

Der Kampf um Ginkgo
  Sind die präsentierten Studien über Ginkgo ausreichend oder nicht?
  Sind die präsentierten Studien über Ginkgo ausreichend oder nicht?
   

Kontroverse. Seit 1. Jänner 2002 sind Arzneimittel mit dem Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761 (Tebonin® retard, Tebofortan® und Ceremin®) nicht mehr auf Rechnung der Sozialversicherungs träger frei verschreibbar. Das ist das Ergebnis einer mit Vehemenz seitens der Ärzte, einiger Patientengruppen und der Zulassungsinhaber Austroplant und Madaus sowie auf der anderen Seite des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger ausgetragenen Auseinandersetzung.

Der Arbeitskreis Gefäßtherapie des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger hat im Jahr 1997 empfohlen, die kassenfreie Verschreibbarkeit der Ginkgo-Präparate zeitlich auf drei Jahre zu begrenzen, wenn nicht neue Studien vorgelegt werden, die die freie Verschreibbarkeit rechtfertigen. Vom Zulassungsinhaber der Präparate Tebonin und Tebofortan wurden Studien vorgelegt, die den Wirknachweis für den Ginkgo-Extrakt EGb761 nach den US-amerikanischen und europäischen Studienrichtlinien erbringen, so die Hersteller. Nach Ansicht des Hauptverbandes waren diese Studien nicht ausreichend. Deshalb wollte der Hauptverband die Ginkgo-Präparate per Juli 2001 aus dem Heilmittelverzeichnis streichen. Vor allem im Indikationsgebiet Alzheimer seien die Studienergebnisse nicht aussagekräftig genug.
Damit wären die Präparate Ceremin®, Tebofortan® und Tebonin® retard nicht nur nicht mehr für die Behandlung des demenziellen Syndroms zur Verfügung gestanden, sondern auch für folgende zugelassene Indikationen:

  • zerebraler Mangeldurchblutung und Mangelernährung bzw. Hirnleistungsstörungen mit den Symptomen der nachlassenden intellektuellen Leistungsfähigkeit und Vigilanz wie Schwindel, Ohrensausen, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Gedächtnisschwäche, Ängstlichkeit und depressive Verstimmung;
  • periphere arterielle Durchblutungsstörungen mit erhaltener Durchblutungsreserve (Claudicatio intermittens)
  • als unterstützende Behandlung eines infolge Zervikalsyndroms beeinträchtigten Hörvermögens
Deshalb wurde unter der Patronanz der Österreichischen Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie von internationalen Experten, Hausärzten und den Zulassungsinhabern die Initiative ProCerebro ins Leben gerufen. Erste Aktivität war ein Expertenmeeting am 27. November 2000, das die Auswirkungen einer allfälligen Streichung der Ginkgo-Präparate aus dem Heilmittelverzeichnis auf die Finanzen der Krankenkassen und die Patienten feststellen sollte.
Fazit des Expertenmeetings, das von 27 Experten unterschrieben wurde:
"Durch die Streichung der Ginkgo-Präparate aus dem Heilmittelverzeichnis ist eine durch klinische Studien gut belegte und in der Praxis bewährte Arzneimittelgruppe nicht mehr ohne soziale Barriere zugänglich. Es gibt keine pharmakologisch und ökonomisch gleichwertigen Alternativen. Die Streichung bewirkt die Einschränkung der therapeutischen Möglichkeiten bei älteren Menschen und damit eine weitere Diskriminierung der Senioren, obwohl Ginkgo-Präparate alle international anerkannten sechs Kriterien der Erstattungsfähigkeit Sicherheit, Wirksamkeit, Qualität, klinisch-ökonomische Effektivität, Bezahlbarkeit und Angemessenheit erfüllen.
Für die Krankenkassen entstehen durch die Streichung der Ginkgo-Präparate aus dem Heilmittelverzeichnis Mehrkosten bis zu 36,3 Mio. Euro/500 Mio. ATS.
Es ist mit einer Kostensteigerung im Bereich der Pflegeversicherung zu rechnen."
Das Expertenpapier wurde den Fachbeiräten des Hauptverbandes vorgelegt, die die Meinung der Experten jedoch als nicht stichhältig abtaten. In einem Beharrungsbeschluss bestand der Hauptverband weiter auf der Streichung. Daraufhin wurde die Öffentlichkeit in einer Pressekonferenz am 8. Mai 2001 über die Situation informiert. Teilnehmer waren unter anderem der Präsident des Hausärzteverbandes Dr. Christian Euler und Prim. Dr. Marion Kalousek von der Österreichischen Alzheimer Liga. Auf der Pressekonferenz wurde auch ein offener Brief vorgestellt, der in ärztlichen Ordinationen und Apotheken aufgelegt sowie in allen Regionalmedien und in der Kronen Zeitung veröffentlicht wurde. Innerhalb weniger Wochen erbrachte die Brief-Aktion 120.000 Unterschriften. Der Brief war an Minister Haupt und den damaligen Präsidenten des Hauptverbandes, Hans Sallmutter, mit der Bitte gerichtet, die Empfehlung nochmals zu überdenken. Die vier Waschkörbe voll Unterschriften wurden Anfang Juni vor der Presse den Adressaten übergeben. Minister Haupt deutete an, die Entscheidung des Hauptverbandes zur Streichung der Präparate zumindest bis Jänner 2002 aussetzen zu lassen.
Parallel zur Unterschriftenaktion erhielten alle Abgeordneten zum Nationalrat, für den Bereich Gesundheit zuständige Landespolitiker und weitere wichtige Personen des Gesundheitswesens einen Brief, der auf die Maßnahme des Hauptverbandes und deren Auswirkung aufmerksam machte.

Gespräch mit dem Hauptverband
Am 6. Juni 2001 wurde ein weiterer Termin mit dem Hauptverband koordiniert. Das als Gespräch im kleinen Kreis geplante Meeting wurde schließlich zu einer großen Runde, an der unter anderem auch Vertreter der Österreichischen Apothekerkammer – Vizepräsidentin Dr. Christiane Körner und Vizepräsident Mag. pharm. Friedrich Hoyer – teilnahmen. Doch auch diese Mammutrunde konnte den Hauptverband nicht umstimmen. Eine Intervention beim neuen Präsidenten des Hauptverbandes, Dr. Herwig Frad, änderte auch nichts am Entschluss des Hauptverbandes, Ginkgo-Präparate aus der Kassenzulässigkeit zu nehmen.
Die vereinten Bemühungen von Experten, Ärzten, Apothekern und Patienten brachte jedoch eine Verzögerung der Streichung von 3 Monaten.

Der Hersteller
"Ginkgo-Präparate sind hochwirksame pflanzliche Arzneimittel. Es gibt kein anderes Phytotherapeutikum mit mehr als 500 wissenschaftlichen Arbeiten", so Dr. Pierre Saffarnia, Pressesprecher der Austroplant Arzneimittel GmbH. in Wien, die derartige Präparate vertreibt. Diese Arzneimittel würden die Gedächtnisleistung signifikant erhöhen und könnten bei der Alzheimer-Krankheit eine Verbesserung der sozialen Fertigkeiten bewirken sowie einen Heimaufenthalt hinauszögern. Für bisherige Bezieher sprechen daher wichtige Argumente dafür, die Ginkgo-Präparate weiterhin einzunehmen.
"27 namhafte Mediziner aus dem In- und Ausland stehen mit ihrer Unterschrift auf einem Expertenpapier für diese Arzneimittel ein."
Austroplant als Zulassungsinhaber von Tebonin und Tebofortan werde nun verstärkt die Betroffenen und die Bevölkerung über Wirksamkeit und Nutzen der Ginkgo-Wirkstoffe informieren.

Hauptverband: Kein relevanter Patientennutzen
In einer Aussendung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger hingegen heißt es:
"Der Fachbeirat hat empfohlen, die seit Jahren umstrittenen Ginkgo-Präparate aus dem Verzeichnis zu streichen: Die in erster Linie gegen Hirnleistungsstörungen eingesetzten Medikamente können zwar weiterhin ärztlich verschrieben werden, die Krankenkassen kommen mit Jahresbeginn 2002 grundsätzlich aber nicht mehr für die Kosten auf.
Vorausgegangen ist in Österreich eine jahrelange Diskussion um Ginkgo-Präparate, die in manchen westlichen Ländern nicht einmal als Arzneimittel zugelassen sind: 1997 hatte der Fachbeirat die Verschreibbarkeit der Produkte, die hauptsächlich gegen Hirnleistungsstörungen eingesetzt werden, auf drei Jahre befristet und die weitere Verschreibbarkeit vom Ergebnis neuer Studien abhängig gemacht.
Expertisen, die den tatsächlichen relevanten Nutzen für Patienten belegen, konnten allerdings trotz wiederholter Ankündigung von Pharmaunternehmen nicht vorgelegt werden. Gleichzeitig belegen andere Ginkgo-Studien keine positiven Ergebnisse bei altersbedingten Gedächtnisstörungen. "Es existieren auch keine wissenschaftlichen Daten, die eine Wirksamkeit von Ginkgo bei Tinnitus belegen würden", stellt der beratende Arzt des Hauptverbandes, Univ.-Prof. Dr. Klaus Klaushofer, fest. Zudem sind in der Zwischenzeit neue Präparate zur Behandlung der Alzheimer-Demenz auf dem Markt, die zwar teurer, aber in ihrer Wirkung besser belegt sind.
Die Anführung von Ginkgo-Präparaten im Heilmittelverzeichnis ist daher nach Expertenmeinung nicht länger vertretbar. Um den Betroffenen Zeit zu geben, wird dieser im Sommer gefasste Beschluss erst mit 1.1.2002 umgesetzt: Ärzten und Patienten blieb genug Zeit, gemeinsam andere therapeutische Maßnahmen zu planen.
Ob sich die Krankenkassen, die im Vorjahr 16,4 Mio. Euro/226 Mio. ATS für Ginkgo-Präparate ausgegeben haben, durch diese Maßnahme Geld ersparen, ist offen.
Mit der Streichung werden nicht in Hinblick auf den dringend notwendigen Sparkurs den Patienten Medikamente vorenthalten. Im Sinne der Qualitätssicherung soll aber nur Geld für Präparate ausgegeben werden, deren Nutzen medizinisch einwandfrei belegt ist." (»Sozialversicherung aktuell«, Nr. 229 vom 7. Jänner 2002)

Ginkgo-Präparate:
Selbst kaufen oder darauf verzichten?

Nach dem Wegfall der Kassenfreiheit stellt sich für die bisherigen Bezieher der EGb 761-Präparate nun die Frage: "Soll ich sie mir jetzt selbst kaufen oder darauf verzichten?"
Entscheidungsgrundlagen dafür werden wohl
• der Preis,
• die Wirksamkeit und
• die Notwendigkeit
einer Behandlung sein.

Preis
Mindestmengen von 80 bis 160 mg Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761 gelten heute als therapeutisch notwendig. Das bedeutet selbst bei 160 mg Ginkgo-Extrakt AVP-Tageskosten, die unter einem »Kleinen Braunen« liegen (s. Tabelle)!

Ginkgo-Präparat Packungsgröße und Preis Tageskosten für 80 mg
Tebofortan Tabl. 40 mg/Tr. 4% 50 St./50 ml = 16,35 Euro 0,65 Euro (9,0 ATS)
Cerebokan Tabl. 80 mg 30 St./16,75 Euro
60 St./29,70 Euro
0,56 Euro (7,70 ATS)
0,50 Euro (6,80 ATS)
Ceremin Tabl. 50 St./15,70 Euro 0,63 Euro (8,60 ATS)

Wirksamkeit
Es gibt kein anderes Phytopharmakon mit so vielen wissenschaftlichen Arbeiten. Die EGb 761-Dokumentation wurde in den letzten Jahren laufend verbessert und entspricht den heutigen Anforderungen, wie Prof. Marksteiner bei den Südtiroler Herbstgesprächen erläuterte (siehe Bericht in dieser Ausgabe auf S. 62).

Notwendigkeit
Die Grenze zwischen bloßer Vergesslichkeit und dem Beginn eines demenziellen Abbauprozesses ist fließend, kann aber mittels standardisiertem Testverfahren erfasst werden. Der Abbau betrifft anfänglich das Kurzzeit-Gedächtnis, später auch das Langzeit-Gedächtnis. Um den Kunden die Selbsteinschätzung zu erleichtern, wird in der Kundenzeitung »Die Apotheke« Nr. 1/2002 der abgebildete Test abgedruckt, der auf Erfahrungen der Gedächtnisambulanz am AKH-Wien (Univ.-Prof. Dr. Peter Dal Bianco) fußt.

Die Antworten erlauben eine grobe Einschätzung
• von Gedächtnis und Denkvermögen (Fragen 1–6)
• von Sozialkompetenz ( Fragen 7–8)
• von körperlicher und psychischer Stabilität (Fragen 9–13)
• eventuell vorliegender Multiinfarktfolgen (Fragen 14–16)
• von depressiven Anzeichen (Fragen 17–18)

Am Beginn einer Alzheimer-Demenz steht:
• die Abnahme der Gedächtnisleistung (Fragen 1–6)
• bei sonst erhalten gebliebenen anderen Funktionen (Fragen 7–13 und 17–18)
• Defizite bei Fragen 14–16 sollten zu einem raschen Arztbesuch führen.

Auffälligkeiten bei Fragen 1–6 deuten auf »Mild Cognitive Impairment« (MCI), einer Vorstufe von Alzheimer, hin, bei der sich Gedächtnis und Denkvermögen durch EGb 761 nachweislich verbessern lassen. Eine ärztliche Betreuung sollte bei der Indikation Alzheimer stets gegeben sein.

 

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