Kopp, B. und Krenn, L. (2001): ÖAZ, Österreichische Apothekerzeitung
26, 1239-1241, Wien.
Gesundheitsschädliche Wirkungen?
Kava-Kava und Kavain-haltige Arzneimittel
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Die Kava-Wurzel
zeichnet sich durch einen leicht bitteren, stark betäubenden
Geschmack aus
Foto: Dr. Betti/Kavasedon® |
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Kava-Kava ist ein auf den Inseln des Stillen Ozeans (Polynesien
und Melanesien) wachsender Strauch (Piper methysticum), der als
wirksame Inhaltsstoffe die so genannten Kavapyrone enthält,
die eingehend pharmakologisch untersucht und hinsichtlich ihrer
Wirkungsweise und -stärke mit Tranquilizern vom Typ Benzodiazepine
vergleichbar sind. Die frühesten Informationen über Kava,
den »Rauschpfeffer« (Piper methysticum G. Forster) und
seine zeremonielle Bedeutung für die Südsee-Kulturen entstammen
den Reiseberichten des englischen Seefahrers James Cook sowie den
Berichten seiner naturwissenschaftlichen Begleiter. Bis heute wird
von den Bewohnern der Südsee-Inseln in einer hölzernen
Schüssel, der Tanoa, mit gereinigten, entrindeten und kleingeschnittenen
Kava-Wurzeln ein wässriger Auszug bereitet, der in polierten
Schalenhälften der Kokosnuss zum Trunk herumgereicht wird.
Dieses Kava-Getränk dient als soziales Kommunikationsmittel,
das nichtalkoholische Getränk wirkt entspannend, sedierend
und körperlich relaxierend bei gleichzeitigem Erhalt der geistigen
Klarheit und ohne Schwächung der Willenskraft. Hunger und Strapazen
können zudem leichter ertragen werden.
Der Kava-Anbau wird meist in Mischkultur (mit Kakao- oder Bananenstauden
oder Kokospalmen) betrieben. Nach einer Zeit von etwa 3-4 Jahren
hat die Pflanze eine Größe erreicht, die das Ausgraben
des Wurzelstockes mit den Wurzelausläufern sinnvoll und ertragreich
macht. Die heute arzneilich verwendete Droge Rhizoma Piperis methystici
ist der getrocknete, geschnittene und geschälte Wurzelstock
ohne basale Sprossteile und ohne Seitenwurzeln.
Wirkstoff: Kavapyrone
Die wirksamkeitsbestimmenden Substanzen der Pflanze werden Kavapyrone
oder Kavalactone genannt. Mindestens 12 Einzelpyrone lassen sich
unterscheiden, mengenmäßig dominieren allerdings 6 Pyrone.
Diese 6 Vertreter der pharmakologisch untersuchten und hinsichtlich
ihrer pharmakologischen Wirkung einzeln untersuchten und definierten
Substanzen sind Kavain, Dihydro-Kavain, Yangonin, Desmethoxy-Yangonin,
Methysticin und Dihydro-Methysticin.
Pharmakologie
Synergismus der Kavapyrone
Für alle diese Kavapyrone sind Einzelwirkungen bekannt; allen
Kavapyronen aber ist der beruhigende (sedierende), der angstlösende
(anxiolytische) und der entspannende (muskelrelaxierende) Effekt
gemeinsam. Die Kavapyrone aus dem Kava-Extrakt zeigen pharmakologisch
gleichsinnige Wirksamkeit und untereinander Synergismus. Dieser
in pflanzlichen Extrakten enthaltene Kavapyron-Wirkstoffkomplex
ist wichtig, da z.B. Yangonin und Desmethoxyyangonin oral alleine
wenig wirksam sind, aber mit den anderen Kavapyronen zusammen erheblich
zur Gesamtwirkung beitragen. Enolide - wie Kavain oder Methysticin
- wirken mit Dienoliden - wie Yangonin oder Desmethoxyyangonin -
synergistisch und überadditiv. Der genaue Mechanismus hierfür
ist noch nicht geklärt, wahrscheinlich ist auch eine Resorptionsförderung
ein Teilfaktor.
Der natürliche und auf den Wirkstoffgehalt standardisierte
Kavapyron-Gesamtkomplex ist deshalb den isolierten Einzelsubstanzen
pharmakologisch überlegen.
Pharmakokinetik
Die Löslichkeit der Kavapyrone in Wasser ist sehr gering, die
einzelnen Komponenten werden unterschiedlich schnell resorbiert
und eliminiert: Kavain und Dihydro-Kavain werden aus dem Gastrointestinaltrakt
von Versuchstieren innerhalb von 10-15 min resorbiert und innerhalb
von 45-60 min weitgehend aus dem Organismus eliminiert, bei Methysticin
und Dihydro-Methysticin und Yangonin verlaufen Resorption und Elimination
langsamer. Kavapyrone werden teils über die Niere, teils mit
dem Faeces ausgeschieden. Als Metaboliten existieren sowohl Derivate
mit intaktem Pyronring als auch Ringöffnungsprodukte. Ein Teil
der Kavapyrone wird unverändert mit dem Faeces ausgeschieden.
Pharmakodynamik
Kavapyrone wirken auf das zentrale Nervensystem ein und haben zusätzlich
periphere Angriffspunkte, was durch tierexperimentelle Untersuchungen
belegt worden ist. Einen Überblick über die unterschiedlichen
beobachteten Effekte von Kava, die jedoch nicht unbedingt alle klinisch
relevant sein müssen, gibt die folgende Tabelle.
Zentrale
Effekte der Kavapyrone |
Anxiolyse |
Der
anxiolytische Effekt der Kavapyrone ist bestätigter Stand
der wissenschaftlichen Erkenntnis |
Sedation |
Kavapyrone wirken sedativ, aber nicht hypnotisch |
tranquilisierende
Effekte |
Kavapyrone wirken durch die Verringerung der Erregbarkeit des
limbischen Systems tranquilisierend |
Muskelrelaxation |
Kavapyrone wirken wie ein mephenesinartiges zentrales Muskelrelaxans |
Motilitätshemmung |
Die verminderte Spontanmotilität geht mit einer Senkung
der Körpertemperatur und des Gesamt-O2-Verbrauchs einher |
Wirkungsverstärkung
von Alkohol |
Die verstärkte hypnotische Wirkung tritt bei hoher Dosierung
im Tierexperiment auf |
Narkosepotenzierung |
Die Wirkung von Narkotika wird verlängert und vertieft |
antikonvulsiver
Effekt |
Ein
hemmender oder mildernder Effekt gegenüber zentral bedingten,
z.B. epileptischen Krämpfen ist damit möglich |
kaum
antipsychotischer Effekt |
Im
Gegensatz zu Chlorpromazin und Haloperidol haben Kavapyrone
kaum antipsychotische Wirkung |
Periphere
Effekte |
Beeinflussung
der Muskelkontraktilität |
Kavapyrone
greifen direkt am Muskel an und vermindern dort die postsynaptische
Sensitivität |
Lokalanästhesie |
Der
deutlich lokalanästhetische Effekt entspricht dem der gebräuchlich
verwendeten Lokalanästhetika |
Endoanästhesie |
Durch
Dämpfung innerer sensibler Organ- und Gewebsrezeptoren
z.B. am Herzen, kann die Ruhigstellung nervöser Störungen
herbeigeführt werden |
analgetische
Wirkung |
Die
analgetische Wirkung kommt über sog. Non-Opioid-Rezeptoren
zustande |
Spasmolyse |
Kavapyrone
zeigen spasmolytische Wirkung auf isolierte glattmuskuläre
Organe (Ileum, Uterus) |
Klinische Wirksamkeit
Schon vor mehr als 200 Jahren hatte die überaus deutliche Wirkung
des Kava-Trunks auf den menschlichen Körper, insbesondere auf
dessen Nervensystem, die Aufmerksamkeit der Südsee-Besucher
geweckt. Sie berichteten über die Kava-Wirkungen, der Dämpfung
von Gemütserregungen, dem Gefühl der Schwerelosigkeit
und auch einer deutlichen Erleichterung des Einschlafens insbesondere
nach einem harten Arbeitstag.
Die pharmakologischen Wirkungen von Kava, die zunächst im Tierversuch
erkannt wurden, sind später in klinischen Untersuchungsreihen
bestätigt worden. Durch publizierte Erfahrungsberichte aus
Arztpraxen und Kliniken sowie Doppelblindstudien kann man in Kenntnis
der inzwischen zahlreich vorhandenen wissenschaftlichen Literatur
feststellen, dass die anxiolytische, die sedierende und die relaxierende
Wirkung der Kavawirkstoffe im Mittelpunkt stehen und die besondere
Bedeutung dieser Droge ausmachen.
Stress und Unruhe
Kavapyrone reduzieren psychovegetative und psychosomatische Beschwerden.
Sie vermindern Spannungs- und Erregungszustände. Als Beispiel
sei eine multizentrische Studie angeführt, in der insgesamt
863 Patienten mit psycho-vegetativen und vegetativen Störungen
vier Wochen lang mit Kavapyronen in individueller Dosierung behandelt
wurden. Die Kavapyrone reduzierten bei über 80% der betroffenen
Patienten Nervosität, Angstzustände, Abgeschlagenheit,
Getriebenheit, Schweißausbruch, Herzklopfen, Kreislaufbeschwerden
und Magen-Darm-Störungen.
Anxiolyse
Kava eignet sich besonders zur Angstlösung bei leichten und
mittelschweren Angstzuständen, Entspannung, Beruhigung und
Antriebssteigerung machen sich bemerkbar.
Beispielhaft sei erwähnt, dass in einer Doppelblindstudie Kava
vergleichend zu Benzodiazepinen geprüft wurde. In der mit drei
randomisierten Gruppen durchgeführten Studie bekam eine Gruppe
Kava, eine Gruppe Bromazepam und eine Gruppe Oxazepam. Es ergab
sich eine deutliche Verringerung der Angstausprägung bei den
untersuchten 172 Patienten aller drei Gruppen, die mit Hilfe der
Hamilton-Angst-Skala (HAMA) objektiviert wurde. Während der
sechs Behandlungswochen ergab sich kein signifikanter Unterschied
der HAMA-Scores aller drei Behandlungsgruppen, so dass Kava eine
vergleichbare Wirkung bei chronischen Angstzuständen zeigte
wie die untersuchten Benzodiazepine.
Kava und ältere Patienten
Etwa die Hälfte aller psychischen Erkrankungen beim älteren
Menschen werden von Angststörungen begleitet. Sie gehören
damit zu den meist verbreiteten und wichtigsten psychischen Erkrankungen
im höheren Lebensalter.
Die Wirkung von Kavapyronen auf ältere Patienten mit neuro-vegetativen
und psychischen Symptomen wurde ebenfalls klinisch an 40 älteren
Patienten mit neurovegetativen und psychischen Symptomen untersucht.
Die Abnahme von innerer Unruhe (100%), psychischer Belastung (85%),
Schlaflosigkeit (97%) und Müdigkeit (97%) waren sehr ausgeprägt.
Wirkprofil:
Tranquillans ohne Abhängigkeitsrisiko Tranquillantien unterscheiden
sich von Sedativa darin, dass ihnen die antipsychotische Wirkung
fehlt und die sedierende Wirkung bedeutend langsamer in den hypnotischen
und narkotischen Zustand übergeht (d.h. sie besitzen eine flache
Dosis-Wirkungs-Kurve).
Die Kavapyrone wirken auf das zentrale Nervensystem und hier gezielt
auf das limbische System, das Angriffspunkt auch für die so
genannten chemischen Tranquilizer wie z.B. Diazepam ist. Kavapyrone
wirken also durch die Verringerung der Erregbarkeit des limbischen
Systems tranquilisierend.
Nach den bisherigen wissenschaftlichen
Erkenntnissen eignen sich kavapyronhaltige Arzneimittel als Alternative
zu den klassischen Tranquilizern in der Therapie von Angstzuständen.
Der entscheidende Vorteil von Kava liegt darin, dass Kavapyrone,
nach allen vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen, im Gegensatz
zu den chemischen Benzodiazepinen - wie Diazepam - keine Sucht auslösen,
also keine Abhängigkeit erzeugen. Selbst bei hoher Dosierung
(400 bzw. 600 mg/die) haben Kavawirkstoffe kein Suchtpotenzial.
Aus diesem Grund sind aus Kava gewonnene Präparate nicht rezeptpflichtig.
In den erforderlichen therapeutischen Dosen gibt es keine hypnotischen,
im Sinne von müde machenden, Effekte. Im Mittelpunkt der Wirkung
steht Entspannung, innere Ruhe und Ausgeglichenheit.
Nach den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen eignen sich
kavapyronhaltige Arzneimittel als Alternative zu den klassischen
Tranquilizern in der Therapie von Angstzuständen aufgrund ihrer
fehlenden hypnotischen Eigenschaften. Zudem besteht keine Suchtgefahr
und kein Abhängigkeitsrisiko, so dass sie sich auch für
eine Langzeittherapie eignen.
Nebenwirkungen
Neben den sehr positiven Eigenschaften der Kava-Kava-Präparate
im langjährigen Einsatz wurde nun in den letzten zwei Jahren
beobachtet, dass bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche
Wirkungen auftreten könnten: die Kausalität eines Zusammenhanges
mit einer Kava-Kava-Behandlung und Leberschädigung kann als
»möglich bis wahrscheinlich« beurteilt werden.
Kava-Kava- oder Kavain-haltige Arzneimittel können offenbar
hepatotoxische Reaktionen auslösen, deren Schwere über
ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares
Maß hinausgeht.
Kava-Kava- oder Kavain-haltige
Arzneimittel können offenbar hepatotoxische Reaktionen auslösen.
Zur Zeit liegen 24 Spontanberichte über Verdachtsfälle
unerwünschter Arzneimittelwirkungen mit Leberbeteiligung vor.
Unter ihnen befinden sich Meldungen über gravierende hepatotoxische
Wirkungen bis hin zu Leberversagen, (cholestatische) Hepatitis oder
Leberzirrhose. Der Zusammenhang mit der Kava-Kava- oder Kavain-haltigen
Arzneimittelgabe wird in achtzehn dieser Fälle als wahrscheinlich
oder möglich eingestuft. In fünf Fällen wurden diese
Reaktionen ohne Komedikation und nach Einnahme von Arzneimitteln
beobachtet, die nur den wirksamen Bestandteil Kava-Kava oder Kavain
als Reinsubstanz enthalten.
Serologische Untersuchungen auf Hepatitis-Antikörper waren
negativ. In einem Fall handelte es sich um eine 60-jährige
Patientin mit akutem Leber- und Nierenversagen, die unter dem klinischen
Bild progredienter Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust und Ikterus
stationär aufgenommen worden war. Eine Leberbiopsie zeigte
das Bild von ausgedehnten hepatozellulären Nekrosen mit intrahepatischer
Cholestase. Der zweite Fall betrifft eine 22-jährige Patientin,
bei der eine Lebertransplantation nach fulminantem Leberversagen
erforderlich wurde. Sie hatte 4 Monate lang täglich 240 mg
Kavapyrone eingenommen, das dem Zweifachen der zugelassenen Tagesdosierung
(120 mg) entspricht. Die histologische Untersuchung der Leber der
Patientin zeigte ein stark verkleinertes Organ mit ausgeprägter
Nekrose und Parenchymzerstörung. Der dritte Fall betrifft eine
50-jährige Patientin, die mit Ikterus und erhöhten Bilirubin-Werten
stationär aufgenommen wurde. Sie hatte sieben Monate lang täglich
60 mg Kavapyrone eingenommen.
Der Mechanismus dieser unerwünschten Wirkungen ist nicht bekannt.
Nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse wird
von einer dosisabhängigen toxischen Arzneimittelreaktion ausgegangen.
Die oben beschriebenen schwerwiegenden hepatotoxischen Reaktionen
sind histologisch als toxische Arzneimittelreaktionen gesichert.
Die Art der Aufbereitung der Ausgangsstoffe und die Herstellungsmethode
der Kava-Extrakte (Ethanol- bzw. Acetonextrakt) scheint dabei keinen
bestimmten Einfluss zu haben. Es ist zur Zeit nicht bekannt, ob
die als wirksam angesehenen Inhaltsstoffe (Kavapyrone), oder andere,
ebenfalls in dem pflanzlichen Extrakt von Piper methysticum enthaltene
Bestandteile für die unerwünschten Wirkungen verantwortlich
sind. Ebenso wenig kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Grenzwert,
von dem an mit einem Auftreten der oben genannten unerwünschten
Reaktionen nicht mehr gerechnet werden muss, für eine bestimmte
Drogenmenge oder einen der Inhaltsstoffe festgelegt werden.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass nach derzeitigem
Erkenntnisstand der begründete Verdacht besteht, dass Kava-Kava-
und Kavain-haltige Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem
Gebrauch offenbar hepatotoxische Reaktionen auslösen können,
die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft
vertretbares Maß hinausgehen. Die zuständige Behörde
in Deutschland (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte,
BfArM) hat bereits die Hersteller von Kava-Präparaten aufgefordert,
innerhalb von vier Wochen zu den hepatotoxischen Reaktionen Stellung
zu nehmen, und beabsichtigt, die Zulassungen von Kava-Kava-haltigen
Präparaten und Arzneimitteln mit synthetischem Kavain einschließlich
homöopathischer Zubereitungen mit einer Endkonzentration bis
D6 zu widerrufen. Bei Abschätzung des Nutzens zu den möglichen
Risken ist verständlich, dass die österreichische Behörde
dem deutschen Beispiel folgen will, bis die Zusammenhänge geklärt
sind. Das heißt, das österreichische Ministerium hat
ebenfalls ein entsprechendes Verfahren eingeleitet.
Literatur bei den Autoren
Univ.-Prof. Mag. pharm. Dr. Brigitte Kopp,
a.o. Univ.-Prof. Dr. Liselotte Krenn
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